Rechtsprechung zum Härtefall
nach § 7 Abs. 2 Satz 5 SGB II wg. Vertrauensschutz
Anerkannte Härtefälle:
Die Rechtsprechung leitet aus einer begonnenen, durch öffentliche
Stellen anfinanzierten Ausbildung ggf. einen Anspruch auf
Weiterförderung im Rahmen eines Härtefalles ab:
LSG Hessen L 9 AS 14/05 ER B.v.
11.08.05, ZFSH/SGB 2005, 672
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sowohl über die
Härtefallregelung (§ 7 Abs. 5 SGB II) wie auch über
§ 34 SGB X (Zusicherung) auch bei Übergang der
Zuständigkeit auf einen anderen Leistungsträger (hier: vom
BSHG zum SGB II) Möglichkeiten, die Fortsetzung einer begonnenen
Ausbildung über das SGB II zu finanzieren und dadurch den
Ansprüchen des Vertrauensschutzes gerecht werden (hier: Studium
für eine alleinerziehende Mutter mit 4 Kindern, von denen das
jüngste 6 Jahre alt ist).
LSG Hamburg L 5 B 256/05 ER AS B.v.
24.11.05
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Pflicht zur Weitergewährung der nach
BSHG in Anerkennung eines Härtefalls bewilligten Leistungen
für afghanische Studierende mit Aufenthaltsbefugnis bzw.
Niederlassungserlaubnis nach § 26 IV AufenthG. Das LSG sieht
aufgrund der nach BSHG als Härtefall aufgenommenen Förderung
einen Härtefall i. S. d. § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II. Es ist
unerheblich, dass die auf der Erlasslage in Hamburg beruhende
Förderung nach BSHG durch die Rspr. der OVG zum Härtefall
nach § 26 BSHG nicht gedeckt war. Die Antragsteller haben ihr
Studium aber in der legitimen Hoffnung aufgenommen, dafür eine
gesicherte finanzielle Grundlage zu haben. Ohne den Übergang vom
BSHG zum SGB II wäre die Sozialhilfe weitergezahlt worden. Die
Antragsteller haben im Vertrauen auf die Förderung bereits
nennenswerte Anstrengungen im Studium unternommen. Bei dieser Sachlage
ist es ihnen nicht zuzumuten, das Studium abzubrechen und auf den
Ertrag ihrer Anstrengungen zu verzichten.
LSG Niedersachsen-Bremen L 8 AS 36/05
ER, B.v. 14.04.05, FEVS 2005, 511
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Härtefall i. S. d. § 7 Abs. 5 S.
2 SGB II, wenn die finanzielle Grundlage für die Ausbildung, die
zuvor gesichert war, entfallen ist (hier: Wegfall der Förderung
nach BSHG; Erhöhung der Unterkunftskosten durch Auszug der
Freundin), sofern dies vom Hilfesuchenden nicht zu vertreten ist, die
Ausbildung schon fortgeschritten ist und der Hilfesuchende
begründete Aussicht hat, nach der Ausbildung eine
Erwerbstätigkeit ausüben zu können (für eine nach
dem SGB III förderungsfähige, zu einem Drittel absolvierte
berufliche Ausbildung). Es ist nicht im Sinne des Gebotes für
erwerbsfähige Hilfebedürftige, ihre Arbeitskraft zur
Beschaffung des Lebensunterhalts einzusetzen (§ 2 Abs. 2 SGB II),
wenn bedürftige junge Menschen daran gehindert werden,
Bildungsziele anzustreben und damit die Voraussetzungen für eine
effektivere Einsetzung ihrer Arbeitskraft zu schaffen.
SG Hannover S 31 AS 132/06 ER, B.v.
09.03.06 www.asyl.net/dev/M_Doc_Ordner/8047.pdf
Anspruch auf Leistungen als Darlehen nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II
wegen besonderer Härte für einen türkischen
Staatsangehörigen, der seit 2004 die Berufsfachschule Technik
besucht, und diese Ausbildung dem Grunde nach BAföG
förderungsfähig ist. Vom Bezug des BAföG ist er
lediglich deshalb ausgeschlossen, weil er die besonderen
Voraussetzungen für ausländische Auszubildende nach § 8
BAföG nicht erfüllt.
Der Antragsteller lebte seit Jahren in Jugendhilfeeinrichtungen. Ihm
wurden bis Oktober 2005 Leistungen nach SGB VIII
einschließlich Hilfe zum Lebensunterhalt und Miete gewährt.
Sein allein sorgeberechtigter Vater war in Deutschland 1997
untergetaucht, wurde in der Türkei zu einer langjährigen
Haftstrafe verurteilt, und befand sich dort bis zu seinem Tod im
November 2005 in Strafhaft. Seine Mutter lebt in der Türkei. Er
erhält deshalb auch ein Kindergeld.
Eine besonderen Härte ist zu bejahen, wenn die zuvor gesicherte
finanzielle Grundlage für eine Aus-bildung entfallen ist, der
Auszubildende dies nicht zu vertreten hat, die Ausbildung schon
fortgeschritten ist und die begründete Aussicht besteht, dass die
Notlage des Hilfe Suchenden nur vorübergehend ist (OVG
Lüne-burg 4 M 6332/95, B.v. 29.09.95, FEVS 46, 422 ff).
Für den Bereich des SGB II haben sich dieser Rechtsprechung u.a.
das LSG Nds-Bremen L 8 AS- 36/05, B.v. 14.04.05, FEVS 56, 511, das LSG
Hessen K 9 AS 14/05 ER, B.v. 11.08.05, ZFSH/SGB 2006, 672 und das LSG
Hamburg L 5 B 256/05 ER, B.v. 24.11.05 sowie L 5 B 396/05 ER AS, B.v.
02.02.06 angeschlossen. Danach ist der Begriff der besonderen
Härte in § 7 Abs. 5 SGB II mit Rücksicht auf die in
§ 1 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II genann-te Zielvorstellung des
Gesetzgebers auszulegen, Hilfebedürftige bei der Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit zu un-terstützen und sie in die Lage zu
versetzen, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten.
Für die Ar-beitsmarktintegration ist ein qualifizierter
Ausbildungsabschluss besonders bedeutsam. Deshalb wäre für
den Antragsteller ein durch die Verweigerung der Leistungen zum
Lebensunterhalt zum jetzigen Zeitpunkt erzwungener Abbruch des
Schulbesuchs unzumutbar.
Kein Härtefall für
Flüchtlinge, selbst wenn sie ohne Eltern sind:
LSG Berlin Brandenburg L 10 AS 545/06,
U.v. 07.07.06 www.sozialgerichtsbarkeit.de
Revision beim BSG anhängig. Kein Anspruch auf ALG II, auch nicht
als Darlehen, für eine 18jährige, seit 5 Jahren in
Deutschland lebende, als unbegleiteter minderjähriger
Flüchtling eingereiste Jugendliche aus Sierra Leone mit
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, weil sie eine
schulische Berufsausbildung macht, die dem Grunde nach nach BAföG
förderungsfähig wäre.
Die vom Land Berlin zuvor gewährte Jugendhilfemaßnahme sowie
die Agentur für Arbeit (Berufsberatung) hatten die Jugendliche
intensiv im Hinblick auf einen aufzunehmende Berufsausbildung betreut.
Das Jobcenter hatte die Jugendliche zunächst - entgegen § 63
SGB III - in eine berufsvorbereitende Maßnahme zugewiesen und
hierfür ALG II gewährt. Ihr Wechsel von der Maßnahme in
die Berufsausbildung wurde vom Jobcenter ausdrücklich genehmigt,
zwei Monate später jedoch überraschend das ALG II unter
Verweis auf das leistungsrechtliche Ausbil-dungsverbot des § 7
Abs. 5 SGB II eingestellt. Die Jugendliche wurde vom Jobcenter zum
Abbruch der Be-rufsausbildung aufgefordert, für diesen Fall wurde
ihr ALG II als Zuschuss angeboten. Irgendwelche alternative Arbeits-
oder Ausbildungsangebote hat ihr das Jobcenter - entgegen § 3 Abs.
2 SGB II - nicht unterbreitet.
Da unbekannt ist, ob und wo ihre
Eltern noch leben, kann sie für diese auch keine 3 Jahre
Erwerbstätigkeit in Deutschland nachweisen. Mangels
5jähriger eigener Erwerbstätigkeit vor Beginn der Ausbildung
besteht somit kein Anspruch auf BAföG (§ 8 Abs. 2
BAföG), auch der Aufenthaltstitel vermittelt keinen Anspruch
(§ 8 Abs. 1 BAföG).
Das LSG konnte hierin weder einen besonderen Härtefall (§ 7
Abs. 5 Satz 2 SGB II) noch aufgrund der zuvor geförderten
Vorbereitung und Aufnahme der Berufsausbildung u.a. durch das Jobcenter
Gründe für einen Vertrauensschutz erkennen.
LSG NRW L 19 B 20/06 AS ER, B.v.
23.08.2006 www.sozialgerichtsbarkeit.de
Keine Leistungen - auch nicht im Wege der Härtefallregelung - nach
SGB II als Härtefall für eine 20jährige mit
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die als Vollwaise nach Deutschland gekommen
ist, weil sie eine eine schulische Berufsausbildung zur Kinderpflegerin
absolviert. Die Antragstellerin ist nicht mehr krankenversichert und es
sind Mietrückstände von 1434,20 €aufgelaufen.
Das SG hatte eine besondere Härte anerkannt, weil die
Antragsgegnerin der Antragstellerin eine betriebliche Ausbildungsstelle
nicht haben vermitteln können und aktuell nicht anbieten
könne. In dieser Situation könne von der Antragstellerin
nicht verlangt werden, ihre Ausbildung abzubrechen, um Leistungen nach
dem SGB II zu erhalten, da die aufgenommene Ausbildung den
Ausbildungsstand der Antragstellerin verbessere und so schon allgemein
ihre Vermittlungschancen erhöhe.
Ein besonderer Härtefall liegt auch nicht aus den vom
Sozialgericht genannten Gründen vor. Im Übrigen würde
durch diese Argumentation eine mit den Leistungsausschlüssen nach
§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II/8 BAföG verbundene Zielsetzung des
Gesetzgebers nahezu regelmäßig umgangen. Denn von fast jeder
Ausbildung lässt sich annehmen, dass sie persönlich
nützlicher ist als das bloßes Abwarten eines Arbeits- oder
Ausbildungsangebotes sowie, dass der Absolvent der Ausbildung nach
deren Abschluss qualifizierter ist als vorher.
Eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II
kann zur Überzeugung des Senats auch nicht daraus hergeleitet
werden, dass die Antragstellerin bislang nicht zu dem vom BAföG
erfassten Personenkreis zählt. Denn die Härte rührt
insoweit, wie vorab dargelegt, aus der gesetzgeberischen Entscheidung
her, den von den Regelungen der Ausbildungsförderung
begünstigten Personenkreis zu bestimmen. Darüber hinaus ist
auch nicht zu erwarten, dass die Umsetzung der sog.
Qualifikationsrichtlinie - Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom
29.04.2004 (Amtsblatt L 304/12 vom 30.09.2004) - eine für die
Antragstellerin günstigere Position bringen wird, da nach Nr. 31
der Erwägungen dieser Richtlinien diese nicht für finanzielle
Zuwendungen gilt, die von den Mitgliedsstaaten zur Förderung
der "allgemeinen und beruflichen Ausbildung" gewährt werden.
Zusammenstellung:
Georg Classen, April 2007
www.fluechtlingsrat-berlin.de